Sehr geehrter Herr Bundesminister,
mit diesem offenen Brief wenden wir uns an Sie - in Reaktion auf die Bekanntmachung des potenziellen Ausstiegs des BMZ aus der bilateralen Zusammenarbeit mit Nepal im Zuge des Reformprozesses BMZ 2030. Dieser Brief wird von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und Einzelpersonen unterstützt, denen eine positive Entwicklung des Landes Nepal am Herzen liegt.
Wir appellieren daran, die bilaterale Zusammenarbeit mit Nepal nicht zu beenden [1], sondern aus den folgenden Gründen weiterzuführen:
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Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Nepal hat jahrzehntelange Tradition und verlief bisher sehr erfolgreich.
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Nepal befindet sich derzeit in Folge des politischen Wandels, des Erdbebens von 2015 und der aktuellen Covid-19 Pandemie in einer vulnerablen Situation.
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Nepal, als junge Demokratie, hat in den Bereichen Good Governance und Korruptionsbekämpfung mit der Föderalismusreform große Anstrengungen unternommen und entsprechend Fortschritte erzielt[2].
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Die bilaterale Zusammenarbeit beinhaltet bereits viele der neuen Schwerpunktthemen der BMZ-Strategie 2030 und bietet hervorragende Möglichkeiten für weiteres Engagement.
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Deutschland steht als einer der wichtigsten Geber in Nepal in einer besonderen Position und Verantwortung, in dieser Situation weiter zu stabilisieren. Ein Ausstieg aus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit jetzt, sendet ein katastrophales politisches Signal an die Regierung und andere Entwicklungspartner.
Zwischen Nepal und Deutschland besteht seit Jahrzehnten eine enge freundschaftliche Verbindung. Das zeigt sich in der Anzahl der Reisenden aus Deutschland (allein in 2019 über 30.000), aber auch im Engagement der über 100 deutschen NGOs, die in Nepal aktiv sind, sowie in der inzwischen über 60-jährigen bilateralen Zusammenarbeit. Die KfW fördert finanziell, das Landesbüro der GIZ arbeitet im Rahmen der technischen Zusammenarbeit inzwischen seit 1974 mit unterschiedlichen staatlichen Partnern in Nepal vor allem in den Bereichen Gesundheit, Erneuerbare Energien, nachhaltige Wirtschaftsförderung und Friedensarbeit zusammen, wodurch über die Zeit ein vertrauensvolles Verhältnis und eine gelungene Kooperation entstanden sind.
Aktuelle Situation und Herausforderungen
Nach dem erfolgreichen Wandel zur Demokratie haben das Erdbeben 2015 das Land in seinen Fortschritten wieder um Jahre zurückgeworfen. Der Wiederaufbau war noch nicht abgeschlossen und nun folgt mit der Corona-Krise ein erneuter Rückschlag, der neben den gesundheitlichen Auswirkungen auch wirtschaftliche und soziale Folgen mit sich zieht, die bereits jetzt in drastischem Ausmaß zu beobachten sind.
Das Gesundheitssystem kämpft insbesondere mit fehlender Ausstattung des Personals vor Ort und zu geringen Testkapazitäten, um den COVID-19 Ausbruch erfolgreich zu bewältigen. Abgesehen davon zeigen sich infolge des Lockdowns bereits Herausforderungen durch derzeit ausgesetzte Impfungen in der Vorbeugung anderer Krankheiten wie Masern oder Röteln. Aus wirtschaftlicher Sicht werden das Land insbesondere die wegfallenden Einnahmen aus dem Tourismussektor vor große Herausforderungen stellen, sowie die sinkenden finanziellen Rückflüsse der rund sechs Millionen ins Ausland migrierten Arbeiter, die aufgrund der Corona-Krise arbeitslos wurden und heimgekehrt oder noch im Ausland gestrandet sind.
Die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise stellen das Land und besonders das ohnehin noch junge demokratische System enorm auf die Probe. Hier kann die deutsche Expertise sich gerade jetzt unterstützend einbringen.
Nepal als junge Demokratie – Fortschritte in Guter Regierungsführung
Nepal ist eine junge Demokratie - die Entscheidung, das Land als föderale Bundesrepublik zu führen, wurde auch nach dem Vorbild Deutschlands getroffen. Demokratieförderung bei der Umsetzung der Reformen kann gerade jetzt durch die bilaterale Zusammenarbeit besonders effektiv sein. Die Umsetzung der Föderalismusreform benötigt Unterstützung und Expertise, da die neu gewählten Vertreter auf provinzialer und lokaler Ebene noch wenig Erfahrung darin haben, welche Kompetenzen ihnen zustehen und wie sie diese auch gegenüber der Bundesebene durchsetzen können. Die hier schon erfolgte bilaterale Zusammenarbeit im Aufbau lokaler Verwaltungsstrukturen trägt damit auch gleichzeitig erfolgreich zur Korruptionsbekämpfung bei, was sich auch in den positiven Entwicklungen ablesen lässt, die der Korruptionsindex der vergangenen Jahre zeigt. Transparency International weist Nepal zwar ein vulnerables, jedoch sich verbesserndes politisches System nach[3]. Der Staat hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte von einer konstitutionellen Monarchie hin zu einer Demokratie gemacht. Eine bedeutende Entwicklung lässt sich darüber hinaus in der Frauenförderung beobachten. Nepal hat die Beteiligung von Frauen in politischen Führungspositionen und im Parlament in der Verfassung verankert und der Frauenanteil übertrifft den vieler westlicher Staaten.
Als kleines Land zwischen den mächtigen Nachbarn China und Indien, ist Nepal aus geopolitischen Gesichtspunkten ein wichtiger Standort. In den vergangenen Jahren ist der Einfluss Chinas in Nepal beängstigend schnell gewachsen, was insbesondere in der Region Mustang zu beobachten ist. Mit der für das Jahr 2022 geplanten Zugverbindung zwischen Lhasa und der nepalesischen Grenze ist von einer weiter zunehmenden Einflussnahme auszugehen.
Der Ausstieg Deutschlands aus der bilateralen Zusammenarbeit würde auf politischer Ebene auch ein Zeichen für den Rückzugs der Europäischen Union als starker Partner setzen, da Deutschland neben Finnland der einzige wichtige Geber der EU in Nepal ist. Das kann von Chinas als politisches Signal verstanden werden und dazu ermutigen, ihre Vormachtstellung in der Region weiter auszubauen und vermehrt Einfluss in Nepal zu nehmen.
Deutschland ist jetzt als zuverlässiger Partner gefragt, um Nepal in der Bewältigung der neuen Herausforderungen zu unterstützen.
Die Zivilgesellschaft ersetzt nicht die staatliche Entwicklungszusammenarbeit
Deutschland gehört zu den wichtigsten bilateralen Gebern der internationalen Gemeinschaft und leistet innerhalb der EU Staaten den größten finanziellen Beitrag. Die deutsche staatliche Entwicklungszusammenarbeit in Nepal kann und sollte nicht durch alleiniges Engagement der Zivilgesellschaft und politischer Stiftungen ersetzt werden.
Nichtregierungsorganisationen (NRO) sollten als eigenständige Akteure auch nicht in die Rolle gedrängt werden, etwaige Lücken durch den Wegfall der bilateralen Zusammenarbeit zu füllen, wie auch der Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen VENRO bereits in einer Stellungnahme zur Reformagenda BMZ 2030 ausgeführt hat. „So wird zum Beispiel der politische Dialog zu den Rahmenbedingungen der Arbeit der Zivilgesellschaft in den Ländern ohne eigenes Engagement des BMZ geschwächt. Für die NRO fehlen die Ansprechpersonen in den Botschaften, die WZ-Referent_innen. Angesichts zunehmender Einschränkungen für NRO weltweit bedarf es auch in Zukunft eines starken politischen Eintretens des BMZ für zivilgesellschaftliche Handlungsräume.“ (VENRO, Stellungnahme zum Reformprozess BMZ 2030)[4].
Staat und Zivilgesellschaft sind gleichermaßen Teil einer erfolgreichen Entwicklungszusammenarbeit, aber NRO können und sollten nicht die Aufgaben und Verantwortung der staatlichen Kooperation übernehmen müssen. Nepal gehört nach wie vor zu den Least Developed Countries (LDC) – ein Ausstieg jetzt kann auch bereits erzielte Erfolge aufs Spiel setzen.
Neue Schwerpunkte der BMZ Strategie 2030 – auch in Nepal
Mit der BMZ Reform 2030 werden vier neue Schwerpunktthemen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit genannt: Ernährungssicherung, Gesundheit und Familienplanung, Ausbildung sowie Energie und Klima.
Gesundheit und Ausbildung
Die deutsche bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Nepal ist insbesondere in den Bereichen Gesundheit sowie Energie und Klima bereits erfolgreich – auch im Bereich Ausbildung können positive Entwicklungen verzeichnet werden und die gute Kooperation mit dem Bildungsministerium schafft Möglichkeiten, hier noch intensiver zusammen zu arbeiten, hier beispielsweise auch in verstärkter Kooperationen mit zivilgesellschaftlicher Entwicklungs-zusammenarbeit.
Energie und Klima
Die Himalaya Gebirgskette mit den höchsten Gipfeln der Welt liegt zum großen Teil in Nepal. Hier bieten sich hervorragende Möglichkeiten für weiteres Engagement, das zum Schwerpunktthema der neuen BMZ Strategie gehört. Im Bereich erneuerbare Energien bestehen auch bereits Programme zur Förderung im ländlichen Raum.
Als Folge des globalen Klimawandels schmelzen zwei Drittel der Gebirgsgletscher im Himalaya ab, wodurch die Wasserversorgung von 1,6 Milliarden Menschen in Südasien bedroht wird. Mit weit reichenden Folgen, denn nicht nur die Einzugsgebiete zahlreicher Flüsse drohen zu versiegen, auch die Lebensgrundlage mehrerer Millionen Menschen ist in Gefahr. Zahlreiche Wissenschaftler prognostizieren einen Rückgang der einzigartigen biologischen Vielfalt sowie schwerwiegende Auswirkungen für die Nahrungssicherung in der Region. Nepal hat ein Ökosystem von enormer Biodiversität, das unter behutsamer, nachhaltiger Entwicklung erhalten werden kann. Daher ist es jetzt umso wichtiger, Strategien zu entwickeln, wie den Folgen des Klimawandels auf lokaler Ebene begegnet werden kann.
Aufruf zur Fortführung der bilateralen Zusammenarbeit
Wir möchten mit diesem Brief unsere Betroffenheit und Bedenken gegenüber dem geplanten Ausstieg aus der bilateralen Zusammenarbeit zum Ausdruck bringen und darum bitten, die Gründe für diese Entscheidung offenzulegen.
Wir appellieren daher an Sie, die langjährige Verbindung zu Nepal und die insgesamt gelungene bilaterale Zusammenarbeit nicht zu beenden die Streichung Nepals aus der Länderliste nochmals einer Überprüfung unterziehen zu lassen.
Deutschland hat Expertise, die in Nepal gefragt ist – diese im Sinne einer effektiven Entwicklungszusammenarbeit in Nepal einzubringen kann nur in Form eines gemeinsamen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und privaten Engagements gelingen.
[1] http://www.bmz.de/20200429-1
[2] Siehe u.a.: https://www.bti-project.org/de/berichte/country-dashboard-NPL.html
[3] siehe: https://www.transparency.de/cpi
[4] Siehe: https://venro.org/publikationen/detail/der-reformprozess-bmz-2030
Unterzeichnet von:
Ram Thapa, Deutsch-Nepalische Gesellschaft
Jenny Ludwig & Steffen Herterich, Long Yang e.V.