IFK_Akademie 2022
14.–20. August 2022: Jägermayerhof, Linz
Arbeit von morgen: Lust, Last, Verlust?
IFK_Faculty
Andreas Eckert (Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Asien- und Afrikawissenschaften; Leiter des geisteswissenschaftlichen Kollegs »re:work – Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive«)
Heike Zirden (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin)
Christiane Luible-Bär (Kunstuniversität Linz, Leitung der Studienrichtung Fashion & Technology)
Mathias Fuchs (Leuphana-Universität in Lüneburg, Institut für Kultur und Ästhetik der Medien)
Daniel Tyradellis (Humboldt-Universität zu Berlin, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik)
Debatten um die Zukunft der Arbeit sind widersprüchlich. Einerseits wird ein Verschwinden der produktiven Arbeit durch Digitalisierung und Automatisierung prognostiziert – Workingman's Death, so hieß der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm von Michael Glawogger aus dem Jahr 2005 –, andererseits wird eine »Rettung der Arbeit« (Lisa Herzog) gefordert, die nach wie vor als eine wichtige Quelle gesellschaftlicher Anerkennung und als materielle Voraussetzung eines guten Lebens betrachtet wird. Diskutiert wird über ein Grundeinkommen oder ein »Grunderbe«; zugleich entstehen im Schatten der aktuell herrschenden Pandemie neue Arten von Arbeitsplätzen: Homeoffice, Mobile Office, virtuelle Bürogemeinschaften. Die Frage, welche Arbeiten wir in Zukunft verrichten werden, muss auch auf verschiedene Orte und Länder im Globalen Süden oder Norden bezogen werden, ganz abgesehen von den möglichen Auswirkungen des Klimawandels.
Die Sommerakademie des IFK fragt nach historisch spezifischen Konstellationen von Arbeit und Arbeitsbeziehungen, vor allem aber nach den Versprechen und Krisen, Hoffnungen und Befürchtungen, die zukünftige Arbeitsgesellschaften befeuern werden. Welche Effekte können von der digitalen Durchdringung der Lebenswelten erwartet werden? Welche Gestalt werden Arbeits- und Ausbildungsplätze annehmen? Welche Szenarien von Arbeitsmigration zeichnen sich ab? Welche Alternativen – vom ökologischen Recycling bis zur Kreislaufwirtschaft – werden sich durchsetzen? Und wie werden neue Arbeitsformen in den Bereichen von Kunst und Kultur in Zukunft aussehen?
Sektionen
Sektion 1: Sag mir wo die Arbeitenden sind. Formen der Arbeit in globaler Perspektive (Leitung: Andreas Eckert, Historiker/Afrikawissenschafter)
Die Corona-Pandemie hat die extreme Verwundbarkeit von Millionen von Arbeitenden wie unter einem Brennglas offenbart und bestehende Hierarchien und Ungleichheiten in der globalen Arbeitswelt akzentuiert. Während vor allem im nordatlantischen Raum individuelle Ansprüche an »gute Arbeit« zuletzt größer geworden sind, sind gleichzeitig die Anforderungen der Arbeitswelten an die/den Einzelne/n tendenziell gewachsen. Zudem erscheinen viele Tätigkeiten zunehmend prekär, schlecht bezahlt, ohne soziale Absicherung. Heute sind Arbeitsverträge immer häufiger zeitlich befristet und Sozialleistungen werden im Namen der »Sparpolitik« oder »flexibler Arbeitsmärkte« in Frage gestellt. In vielen Ländern mit geringen oder mittleren Einkommen, in denen weltweit die Mehrheit der Arbeitenden lebt, war »nicht-standardisierte« Arbeit schon immer die Norm. Nach Schätzungen der International Labour Organisation (ILO) erhält global derzeit gerade einmal ein Fünftel aller Arbeitslosen irgendeine Form von Unterstützung. Diese Menschen sind also gezwungen, so schnell wie möglich eine Einkommensquelle zu finden, und sie drängen sich mit Arbeitsmarkt-Einsteiger*innen im sog. Informellen Sektor, in dem etwa in Indien nahezu achtzig Prozent der Beschäftigten tätig sind. Obwohl ihre Arbeitskraft immer weniger nachgefragt wird, sind Menschen gezwungen zu arbeiten, für niedrige Löhne und häufig unter katastrophalen Bedingungen. Vor diesem Hintergrund wollen wir in dieser Sektion eine gleichsam weltumspannende Perspektive auf die Vielfalt von Arbeitsformen und -verhältnissen entwickeln. Dabei gilt unsere besondere Aufmerksamkeit einmal der sozial-kulturellen Einbettung von Arbeitsverhältnissen und -praktiken, zum anderen den komplexen und grenzüberschreitenden Wirkungen von internationalen ökonomischen und politischen Interdependenzen auf Arbeitswelten.
Sektion 2: Transformationen der Arbeit. Internationale Perspektiven (Leitung: Heike Zirden, Bundesministerium für Arbeit und Soziales)
2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 ambitionierte globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die unter Einbeziehung von Vertreter*innen der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft erarbeitet wurden. Im selben Jahr wurde auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz der VN (COP21) in Paris die Klimarahmenkonvention verabschiedet, mit der sich die 195 Unterzeichnenden auf gemeinsame Anstrengungen zur Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber vorindustriellen Werten verständigten. Und schließlich legte die EU-Kommission mit dem »European Green Deal« 2019 ein umfassendes Konzept mit dem Ziel vor, »der erste klimaneutrale Kontinent« zu werden, bis 2050 die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren, Wachstum von der Ressourcennutzung abzukoppeln und »niemanden, weder Mensch noch Region im Stich« zu lassen. Diese – hier nur beispielhaft skizzierten – multilateral verabredeten Ziele und Vertragswerke im Zeichen von Klimawandel und Ressourcenknappheit erfordern von den Staaten einen konsequenten und schnellen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaften, mit Auswirkungen auf Lieferketten und Zusammenarbeit in aller Welt. Die konkrete Gestaltung der Transformationsprozesse wird nicht nur im Hinblick auf ihre schnelle und effiziente Umsetzung wissenschaftlich und politisch intensiv diskutiert, sondern auch im Hinblick auf einen sozial ausgewogenen, gerechten Übergang (»Just Transition«). Die Fragestellungen dieser Sektion richten sich auf die konkreten Auswirkungen der Transformationen auf Arbeit weltweit: Welche konkreten Herausforderungen und Konsequenzen ergeben sich aus den unterschiedlichen Maßnahmen, mit denen Staaten und Unternehmen die gesetzten Ziele zu erreichen versuchen? Wie verändern sich getrieben von Digitalisierung und Dekarbonisierung Arbeitsmärkte, Arbeitswelten und die Tätigkeiten verschiedener Berufsgruppen? Welche Interdependenzen sind erkennbar? Was bedeutet dies – auch ganz konkret und beispielhaft – für Menschen mit unterschiedlichen Bildungs- und Einkommensvoraussetzungen in Europa und anderen Regionen der Welt? Was könnte »Just Transition« konkret bedeuten? Und wie können entsprechende Konzepte auf der Makro-, Meso- oder Mikroebene aussehen?
Sektion 3: Circular Economy. Reparieren, Umbauen, Recycling und Erneuerung (Leitung: Christiane Luible-Bär, Modedesign, Fertigungstechnik, Schwerpunkt Textilindustrie)
Auch in der Textil- und Bekleidungsindustrie treten heute besorgniserregende ökologische und gesellschaftliche Schieflagen zu Tage. War die Branche im 19. Jahrhundert ein wesentlicher Treiber eines relativen Wohlstands in Europa, ist sie inzwischen vielmehr zum Symbol für die Ausbeutung des Globalen Südens geworden. Textile und andere Fertigungsprozesse sind nur schwer zu automatisieren. Die personalintensiven Produktionsschritte werden heute mit den weltweit billigsten Arbeitskräften realisiert. Die Herstellung von Bekleidung ist kein ›Craft‹ mehr, sondern einfache serielle Fließbandarbeit, bei welcher die Näherin oder der Näher jeglichen Bezug zum Endprodukt verloren hat. Für die Trägerinnen oder Träger sind die so entstandenen Kleidungsstücke Wegwerfprodukte. Die enorme Nachfrage nach immer neuen textilen Produkten führt zu einem gigantischen Ressourcenverbrauch, dem die Endlichkeit der Ressourcen unseres Planeten gegenübersteht. Die Schnelllebigkeit des textilen Konsums resultiert in einem riesigen Müllvolumen, dessen Entsorgung ein massives globales Problem darstellt. Heute ist es unerlässlich, unseren Lebensstil, unser Handeln und unsere Arbeit zu überdenken. Wie kann ein Gleichgewicht zwischen den Grundbedürfnissen der Gesellschaft und den Anforderungen der Umwelt gefunden werden? Ansätze der Circular Economy stellen vor allem kreative und partizipative Prozesse ins Zentrum, um zwischen allen Akteur*innen (Designer*in, Fertigung, Nutzer*in, Gesellschaft) und dem Produkt einen neuen wertschätzenden Bezug herzustellen. Neue Wertschöpfungsketten und Arbeitsformen könnten zum Beispiel im Bereich des Reparierens, des Umbauens, des Recycelns, Erneuerns oder im Dienstleistungsbereich entstehen.
Sektion 4: New Work, Playful Work, neue Arbeitsplätze (Leitung: Mathias Fuchs, Kultur und Ästhetik der Medien)
Die Covid-19 Situation ist der auffälligste, aber nur einer von vielen Faktoren, die deutlich machen, wie sich unsere Arbeitsumgebungen, die Arbeitsbedingungen und unser Verständnis darüber, was Arbeit ist, verändern. Lohnarbeit wird von den einen als sinnlos, als »ermüdend« (Byung-Chul Han), oder als fälschlicherweise verherrlicht (Arendt) beschrieben, von anderen als zwiespältig »herrlich, deprimierend« (Brandon), und von wieder anderen gar als »spielerisch« (MacGonigal, Werbach & Hunter) bezeichnet. Nach dem Abschied vom klassischen Büro mit seinen imposanten Schreibtischen, den Sekretär*innen, Weltkarten und Gegensprechanlagen zeichnen sich neue Arbeitsumgebungen ab. Start-Up Unternehmen rüsten die Büroräume mit Tischtennistischen und Flipper-Automaten aus. Die großen Firmen des Silicon Valley entwerfen »kreative« Kommunikationsumgebungen, die mit Rutschbahnen und bunten Sofas ausgerüstet sind. Die Home-Offices schließlich stellen die privatisierten Versuche dar, sich die Arbeit zwischen Kindern, Kochen und Aufräumtätigkeiten einzurichten.
Wie können wir mit diesen veränderten Arbeitsumgebungen umgehen? Bieten sich Aussichten auf eine Arbeit, die jenseits des Nachbildes materieller Plackerei liegt? Haben sich Arbeitszeiten in den letzten Jahrzehnten verkürzt? Haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert? Was bedeutet Digitalisierung für die Arbeit? Wie wirkt sich die neue Arbeit auf unser Selbstbild aus? Was ist die identitätskonstituierende Rolle der Arbeit?
Sektion 5: Gibt es ein falsches Leben im richtigen? Arbeit in Kunst und Museen (Leitung: Daniel Tyradellis, Philosoph/Kurator)
In ihrer wohl schlichtesten Definition bedeutet Arbeit, die Welt zu verändern – durch Erschaffen oder Zerstörung, im Kleinen und im Großen, zum Guten und zum Schlechten. Bloß dass sich kaum angeben lässt, woher die Maßstäbe für das eine oder das andere herkommen. In der westlichen Moderne scheinen die Kausalketten zu lang, die Rückkopplungen von Argument und Folge zu effektiv, als dass sich zwischen Expertise und Ideologem noch klar unterscheiden ließe. Ein Versuch dazu ist das Arbeiten im »als-ob«-Modus, wie er für die Kulturtechnik des Kuratierens gilt, das per definitionem keine Kunstwerke schafft, aber diese auch nicht allein organisiert und verwaltet. Das programmatisch Funktionslose der in einem Museum versammelten Objekte ist die Bedingung für ein Tun, das sich in jedem seiner Schritte vor dem großen Ganzen – nichts anderes meint »die Welt« – zu rechtfertigen hat, wie und warum es Dinge zeigt oder nicht zeigt, sie selektiert und konstelliert, wen dies ein- und wen es womöglich ausschließt. Kuratieren erweist sich darin als eine Praxis der Ökosophie, wie sie Félix Guattari (Die drei Ökologien, 1989) als Aufgabe formuliert hat: eine »zugleich praktisch und spekulative, ethisch-politische und ästhetische Art ... die alten Formen von religiösen, politischen, assoziativen Verbindlichkeiten ersetzen zu müssen«.
Ablauf
Teilnehmer*innen
(Nachwuchs-)wissenschafter*innen und kulturwissenschaftlich versierte Künstler*innen, die ein zentrales Interesse an Kulturwissenschaften haben. Österreichische Bewerber*innen oder solche, die an österreichischen Wissenschaftseinrichtungen arbeiten, werden besonders zur Antragsstellung ermutigt.
Arbeitsablauf
Von den Teilnehmer*innen wird erwartet, dass sie binnen sechs Wochen nach Teilnahmebestätigung in einem kurzen Text von ca. sechs Seiten (15.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) ein Argument zum Subthema einer Sektion darlegen und dieses im Rahmen der Akademie frei referieren, paraphrasieren, kontextualisieren sowie mit den anderen Teilnehmer*innen und den Mitgliedern der IFK_Faculty diskutieren. Dafür steht jeweils eine Stunde pro Teilnehmer*in zur Verfügung. Alle Teilnehmer*innen und alle Mitglieder der IFK_Faculty nehmen an allen Sektionen teil. Um eine intensive Diskussion und einen ausgeglichenen Wissensstand zu ermöglichen, wird die Lektüre der Kurztexte aller Teilnehmer*innen sowie von fünf Grundlagentexten vorausgesetzt, die als Arbeitsunterlagen in einem Reader Anfang Juli zur Verfügung gestellt werden.
Anwesenheit
Im Interesse des wissenschaftlichen Austauschs ist es unerlässlich, dass alle Teilnehmer*innen während der Gesamtdauer der IFK_Akademie anwesend sind. Das IFK kommt für die Unterkunft auf.
Arbeitssprache
Die Arbeitssprache ist Deutsch. Bewerbungen aus dem nicht-deutschsprachigen Raum sind willkommen. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass der/die Teilnehmer*in dem Diskussionsverlauf der Akademie gut folgen kann.
Auswahl der Teilnehmer*innen
Die Verständigung über die erfolgreiche Bewerbung zur IFK_Akademie erfolgt spätestens Mitte Mai 2022. Anschließend nehmen die Mitglieder der IFK_Faculty mit den Stipendiat*innen Kontakt auf, um die einzelnen Beiträge für die Akademie mit ihnen abzustimmen.
Stipendienumfang
Alle ausgewählten Bewerber*innen – insgesamt maximal 20 Personen – erhalten vom IFK ein Stipendium, das die Unterbringung im Einzelzimmer, Verpflegung (exkl. Getränke) sowie die Bereitstellung der Arbeitsunterlagen beinhaltet. Die Reisekosten sind selbst zu tragen. Im Anschluss an die Verständigung über die erfolgreiche Bewerbung werden die organisatorischen Details bekannt gegeben.
Bewerbungsunterlagen
- Bitte tragen Sie online die erfragten Daten ein.
- Sie können sich auch für mehrere Sektionen bewerben, sollte Ihr Themenvorschlag passend sein.
- Bitte senden Sie als Upload EIN PDF, das den Titel: Akademie 2022_Nachname_Vorname_Sektion Nr. trägt.
Beispiel:
Akademie 2022_Muster_Mara_1 u. 2
-> Das PDF muss folgende Informationen enthalten:
- Konkreter Themenvorschlag zu einem der fünf Subthemen (maximal 5.000 Zeichen inkl. Leerzeichen und Fußnoten)
- Tabellarischer Lebenslauf
- Kopie des letzten akademischen Abschlusszeugnisses
- Gegebenenfalls eine Liste der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
Bewerbungsfrist: 19.02. bis 24.04.2022